Zeit spenden in der Weihnachtszeit

Weihnachten gehört der Familie. Wenn eine vorhanden ist. Weihnachten 2020 ist alles anders. Familie und Freunde wollen ihre Angehörigen und Nachbarn vor der tödlichen Viruserkrankung schützen. Daher ist so mancher ältere Mensch in dieser Weihnachtszeit und am Heiligen Abend allein zu Haus. Da können Fremde helfen, die Einsamkeit zu lindern – indem sie Zeit spenden.

Die Einsamkeit ist groß

Die Vorstellung, dass ein Mensch in der Weihnachtszeit allein ist, finde ich schlimm“, sagt Michaela Zittlau, Pflegeazubi bei Ovital. Altenheime, Pflegeheime und auch mobile Pflegedienste, wie der von Zittlaus Chef, Ralf Novy, übernehmen diese Aufgabe und verbringen einige Stunden mit Menschen, die sonst niemanden haben. Ralf Novy, Geschäftsführer von Ovital Pflege erklärt: „Wir mussten dieses Jahr coronabedingt fast alle Aktivitäten absagen – Tagesausflüge, Gymnastikstunden und sogar unsere Weihnachtsfeier. Das hat die Leute getroffen und sozial isoliert.“ Also schickte Novy zwei seiner Angestellten, weihnachtlich verkleidet, auf den Weg, Zeit zu spenden.

Als Christkind und Weihnachtsmann Zeit spenden

„Mein Kollege Leon und ich haben uns darauf gefreut, in die Rolle des Christkinds und des Weihnachtsmannes zu schlüpfen.“ sagt Michaela Zittlau und lacht: „Obwohl Leon sein Outfit anfangs peinlich fand, hat er nach den ersten Besuchen sofort verstanden, dass er Gutes tut. Wir haben die Einsamkeit vieler Menschen, die wir besucht haben, stark gespürt.“ Auch wenn sich die jungen Pfleger diese Einsamkeit nicht vorstellen können, wollen sie mit ihren Besuchen den Seniorinnen und Senioren das Gefühl geben, dass ihnen jemand zuhört.

Spontanes Anklopfen unerwünscht

„Wenn ich auf die letzten zwei Wochen zurückblicke, erkenne ich, wie viel wir gelernt haben“, sagt der junge Pflege-Azubi. „Wir hatten die ersten Besuche bei den Patient*innen nicht angekündigt, weil wir die Menschen überraschen wollten. Der Großteil hat skeptisch reagiert, als wir an der Haustür klingelten. Obwohl sich dieses Misstrauen eigenartig angefühlt hat, waren wir doch positiv überrascht, dass uns keiner einfach reinlassen wollte. Wir leben in einer Zeit, in der ältere Menschen Opfer von Kriminellen werden. Wir haben unser Vorgehen geändert und die Leute vorinformiert, dass wir sie besuchen. Die Reaktionen änderten sich sofort: von grimmig auf lächelnd.“

Der Besuch bei einsamen Patient*innen löst große Emotionen aus. Foto von Ovital Pflege

Große Emotionen

Alle 230 Patient*innen in der Pflege wurden über den Zeitraum von zwei Wochen zuhause besucht. „Einige haben zu weinen angefangen, weil länger schon keiner da war. Ich erinnere mich an eine Dame, die weinend gefragt hat, ob sie mich umarmen darf. Als ich sie in den Arm genommen habe, hat sie mich fest gedrückt und wollte mich gar nicht loslassen“, erzählt Michaela gerührt. Andere würden viel erzählen, weil sie endlich wieder Gesprächspartner im Hause hatten. „Manche sprechen irgendwelche Themen an, nur damit wir dableiben.“ Die Kinder der Patient*innen würden das Essen vorbei bringen, aber aus Sorge vor einer Ansteckung gar nicht in die Nähe der Eltern bzw. Großeltern gehen. Auch zu Weihnachten würden viele der älteren Menschen dieses Jahr nicht abgeholt werden.

Es gibt auch Begegnungen, wo gar nichts erzählt wird. Auf die Frage, was sie sich während des Besuchs wünschen, zum Beispiel plaudern oder ein Gedicht vorgelesen bekommen, sagen vor allem die Damen: „Eine Umarmung bitte“.  Dann wird still dagesessen und festgehalten. Zeit spenden hätte sich richtig gut angefühlt, meinen beide Pfleger.

„Manchmal sind wir einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, erzählt Michaela. „Als wir bei einem Patienten ankommen, lag dieser am Boden und konnte sich nicht bewegen. Da konnten wir spontan helfen.“ 

Manche Patient*innen stellen Fragen, die auch Michaela und Leon nicht beantworten können. Wie lange diese schreckliche Krise noch andauern würde. Wann sie endlich wieder unter die Leute gehen dürften. Andere zeigen Unverständnis auf die Schutzmaßnahmen und meinen, dass sie schon ganz andere Dramen des Lebens überlebt haben.

Lustige Momente

Auf dem Weg durch Dortmund und Hagen hat das weihnachtliche Duo für viel Aufmerksamkeit gesorgt. „Wir hatten einen Megaspaß, weil die ganze Welt auf uns reagiert hat“, sagt Michaela Zittlau und erzählt von einem kleinen Patienten, der von Ovital betreut wird. „Wir bringen dem Jungen Medikamente in die Schule. Vom Christkind besucht zu werden, hat den Kleinen stolz gemacht. Wir waren die Superstars in seiner Klasse.“

Gemeinschaftsaktion

Bei den Aktionen, die außerhalb der Arbeit organisiert werden, zeigen alle bei Ovital ihr Engagement für die gute Sache. „Wir packen Hunderte von Tüten für unsere Patient*innen neben unserer Büroarbeit. Mein Sohn hilft nach der Schule mit. Und wir haben auch Schüler*innen gefunden, die uns freiwillig helfen. Die gehen zum Markt und kaufen Nüsse und Obst für unsere Aktion“, berichtet Michaela Zittlau.

Gesunde Tüten und Zeit spenden

Manche freuen sich einfach über die kleine Aufmerksamkeit, die das Ovital Team übergibt. Nüsse, Mandarinen, Rosinen – der eine oder die andere sucht in den Tüten vergebens nach Schokolade. Dafür ein Anschreiben, in dem die Menschen persönlich adressiert waren. „Wir wollten unseren Patient*innen zeigen, dass wir an sie denken.“, sagt Ralf Novy, der sich immer wieder unkonventionelle Ideen einfallen lässt, um seinen Schützlingen Zeit zu schenken. „Wirkliche Freude können wir mit gekauftem Zeug selten erzeugen. Ein Zeitgeschenk hingegen kommt von Herzen.“

Der junge Weihnachtsmann kam bei den Damen gut an - Fotos von Ovital Pflege

Beitragsfoto von Daniel Krautsack